Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.09.1998

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Ein Airbag für Motorradfahrer

Beim Aufprall soll der Körper in einen Ballon gehüllt werden / Vorbild ist der Anzug der Jet-Piloten


Fast 1000 Motorradfahrer sterben jährlich  bei Verkehrsunfällen, mehr als 35 000 werden verletzt. Das im Vergleich zum Auto vielfach erhöhte Risiko wird von den Fahrern offenbar akzeptiert: Niemand scheint sich Gedanken zu machen, wie ein Bike geschützt werden kann, der bei einem Aufprall von der Sitzbank katapultiert wird und oft Hunderte Meter über die Straße schlittert - oder, schlimmer, auf ein Hindernis prallt. Es hilft den Fahrern wenig, daß bei rund zwei Drittel aller Unfälle Auto/Motorrad der Autofahrer die Hauptschuld trägt. Den Automobilisten garantieren Knautschzone, Airbags und Gurte eine geringe Verletzungsgefahr. Ein Airbag für Motorradfahrer geisterte lange Zeit nur durch die Gazetten. Aprilia hat unlängst einen tragbaren vorgestellt, den man wie einen Rucksack auf den Rücken schnallt. Er ist über eine Leine mit dem Fahrzeug verbunden und löst aus, wenn der Fahrer heruntergeschleudert wird. Schon seit zehn Jahren wird in der Zweirad-Unfallforschung untersucht, ob ein eingebauter Luftsack auf dem Tank eines Motorrads die Verletzungsgefahr mindern kann - bisher ohne greifbares Ergebnis.

Eine außergewöhnliche Lösung hat der Betriebswirt Wilhelm Jacobus aus Garching bei München entwickelt: den Airall (Airbag Based Protection Overall). Als Basis diente der aufpumpbare Anti-g-Anzug von Jet-Piloten, die ihn benutzen, damit bei hohen Beschleunigungskräften die Blutzirkulation sichergestellt bleibt. Der Motorradfahrer trägt über seiner Lederkombi einen ähnlichen dreischichtigen Overall mit eingearbeiteten Sensoren. Diese messen kontinuierlich die Beschleunigungs- und Bremskräfte und melden in SekundenbruchteiIen die Daten an einen Chip. Ergibt der Vergleich mit den gespeicherten Auslösewerten eine überhöhte Beschleunigung, zünden die Gasgeneratoren. Innerhalb von Millisekunden füllen sie den Schutzanzug und bringen den Fahrer in eine Embryohaltung, Arme und Beine werden an den Körper gedrückt. Das ist wichtig, denn bei etwa 80 Prozent aller Unfälle tragen die Motorradfahrer Beinverletzungen davon. Aus dem Overall wird somit ein bis zu 2 Meter dicker Ballon, der den Menschen einhüllt und ihm das schützende Abrollen ermöglicht. Ein Auto kann den Ballon bei diesem Durchmesser nicht mehr überfahren, ebenso hüpft er nicht etwa hin und her - dafür sorgen Ventile, die kontrolliert Gas ablassen. Ein besonderer Clou der Airall-Idee: Dank der Elektronik können die Unfalldaten mit Funk an die nächste Rettungszentrale übermittelt werden.

Der Erfinder Jacobus ist sich sicher: "Für weniger als 5000  Mark kann der Airall realisiert werden, vorausgesetzt, er wird in großer Stückzahl produziert." Daß die zündende Idee des Garchinger Tüftlers noch nicht fruchtet - die Motorradindustrie gibt sich ziemlich zurückhaltend -, scheint verwunderlich. Immerhin bekam er für die Entwicklung schon den Innovationspreis der deutschen Wirtschaft verliehen.

EGON MORAWIETZ