Süddeutsche Zeitung, 10. August 1994

Original-Layout


"Airall" bläst sich sekundenschnell auf

Garchinger Tüftler erfand Schutzanzug, der wie ein Airbag funktioniert


Garching - Für den "natürlichen Rundumschutz", ähnlich dem Vorbild einer Kastanie, wirbt ein Auto- hersteller derzeit auf großformatigen Anzeigen. Ein "sicheres Gefühl" will auch die Wolfsburger Konkurrenz ihren Kunden dank der neuesten Airbag- Technik vermitteln. Was beim Auto inzwischen weit- gehend serienmäßig ist, bereitet den Motorrad- fahrern noch Kopfzerbrechen. Sie fahren ohne Knautschzone und Aufprallschutz. Nicht, weil es in der Zweirad-Branche an innovativen Ideen mangelt. Vielmehr erschweren neben den immensen Entwicklungskosten auch Image-Probleme die Durchsetzung der Airbag-Technik für das Motorrad. Der Garchinger Erfinder Wilhelm Jakobus stellte jetzt einen aufblasbaren Schutzanzug für Motorradfahrer vor.

Bereits vor Jahren kamen Erfinder auf die Idee, sich die im Automobilbereich bewährte Airbag-Technik für das Motorrad zunutze zu machen. Erste Patente sahen eine Befestigung von Luftpolstern auf dem Tank und zwischen den Beinen des Piloten und dem Lenkrad vor. Eine gemeinsame Versuchsserie von DEKRA, HUK-Verband und der Schweizer Winterthur-Versicherung lieferte gute Ergebnisse für Szenarien, in denen das Motorrad senkrecht auf ein Hindernis fährt. Doch was passiert, wenn der Motorradfahrer, wie es weitaus häufiger der Fall ist, aus dem Sattel seines Zweirads katapultiert wird und, einem Geschoß gleich, meterweit durch die Luft fliegt?

Eine Lösung, die stark an das berühmte "Michelin-Männchen" aus der Reifen-Werbung erinnnert, hat sich Wilhelm Jakobus aus Garching für den unfreiwilligen Abgang ausgedacht. "Airall" heißt der Anzug, der sich bei einem Sturz innerhalb von Sekundenbruchteilen aufbläst und den Körper dabei in die Embryo- oder Ur-Haltung preßt. Eine Vielzahl von Beschleunigungs-Sensoren lösen im Notfall die Zündung des Gasgenerators aus. Kugelförmig und von einer dicken Schutzhülle umgeben, rollt der stürzende Pilot ab.

Damit auch wirklich nur im Notfall ausgelöst wird und der Fahrer nicht schon bereits bei einem beherzten Schulterklopfen zum "Michelin-Männchen" wird. übernimmt eine intelligente Elektronik die Steuerung der Zündanlage. Meldet diese ein unfalltypisches. durch Tests ermitteltes Beschleunigungsmuster, werden die Gasgeneratoren gezündet. Die Kammern füllen sich dabei aber nicht alle auf  einmal, sondern in einer bestimmten Reihenfolge, so daß Arme und Beine des Fahrers automatisch zur Embryo-Stellung an den Körper herangezogen werden.

Stabile Außenhaut

Der aus mehreren Schichten bestehende Schutzanzug besteht aus einer körpernahen Hülle, in der das Luftkammersystem untergebracht ist. und einer stabilen Außenhaut. Diese ist mit Sollbruchstellen versehen, damit sich die einzelnen Luftkammern auch aufblähen können. Als weitere Raffinesse sorgt eine in das "Airall"-System integrierte Kommunikations- einheit, die per Funk die nächste Rettungszentrale alarmiert und so für schnelle Hilfe am Unfallort sorgt.

Noch nicht so richtig gezündet hat die Vermarktung des "airbag based protection overalls". Statt dessen hat der 28jährige Datenverarbeitungskaufmann, der seit drei Jahren fest an den Erfolg seiner Erfindung glaubt, 80 000 Mark in das Projekt investiert. Die Motorrad-Industrie zeigte sich bislang zurückhaltend. Sie erkennt zwar den großen Nutzen eines solchen Motorrad-Airbags an, sieht aber wegen der zu erwartenden geringen Absatzzahlen die geschätzten Investitionskosten von 10 bis 15 Millionen Mark nicht gedeckt.

(Abbildung ...)

SABINA KIPFELSBERGER